Der Bundesrat stimmte am 20.05.2022 der Verordnung des Bundesverkehrsministeriums zum autonomen Fahren (AFGBV) zu. Deutschland präsentiert sich hiermit als erste Nation mit einem vollumfänglichen Rechtsrahmen für das automatisierte und vernetzte Fahren weltweit – ein Meilenstein, wie auch der VDA-Geschäftsführer Dr. Joachim Damasky erklärt: „Mit der heutigen Annahme der Rechtsverordnung erreichen wir einen Meilenstein in der Automobil- und Mobilitätsbranche. Mit Stolz können wir auf viele Jahre intensiver Arbeit aller Beteiligten zurückblicken. Mit Mut, Entschlossenheit und Vorausblick haben wir bewiesen, dass wir in Deutschland bei Zukunftstechnologien weiterhin Weltspitze sind.“ (Verband der Automobilindustrie)
Das AFGBV ermöglicht konkret den Betrieb autonomer Kraftfahrzeuge wie Pkw, Lkw oder Busse, die nach Level 4 das „voll automatisierte Fahren” unterstützen. Nach den SAE-Standards sind Level 4 Fahrzeuge funktionstechnisch den autonomen Level 5 Fahrzeugen gleich, sie sind aber auf bestimmte Strecken und definierte Betriebsbereiche festgelegt und müssen noch durch einen Menschen technisch beaufsichtigt werden können. Nähere Informationen finden Sie auch in unserem Themenheft “Automatisierte Mobilität: Überblick über die technologischen Grundlagen”. Durch die neue Verordnung sind nun auch normale Geschwindigkeiten für Level 4 Fahrzeuge im fließenden Verkehr erlaubt, was besonders die örtlichen Verkehrsgesellschaften freuen dürfte. Diese konnten ihre Testfahrzeuge bislang nur auf festen Strecken und mit niedrigen Geschwindigkeiten von etwa 10 km/h testen.
Jetzt dürfte zudem die nächste Phase des autonomen Fahrens angesteuert werden, da das AFGBV auch eine tatsächliche Zulassung von Kraftfahrzeugen mit autonomer Fahrfunktion vorsieht. Hierzu bedarf es, neben der Erteilung einer Betriebserlaubnis, auch einer Festlegung des Betriebsbereichs. Die Festlegung eines solchen Bereichs erfolgt durch den Fahrzeughalter und muss durch die zuständige Behörde genehmigt werden. Der Betriebsbereich ist laut Verordnung nur dann geeignet, wenn das Fahrzeug seine Fahraufgaben dort selbstständig bewältigen kann und keine Personen gefährdet werden. Auch die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs darf nicht behindert werden. Sind alle Voraussetzungen erfüllt, folgt die eigentliche Straßenzulassung mit amtlichem Kennzeichen und Fahrzeugpapieren. Die Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU) und Volker Wissing (FDP) sehen viel Potenzial in der autonomen Transportweise (Deutsche Verkehrs-Zeitung, Vision Mobility), insbesondere was die Personenbeförderung und Logistik angeht. In den nächsten 2 Jahren soll ein autonomes Bus-Shuttle System zur Personenbeförderung, welches bereits in Schweinfurt vorgestellt wurde (TV-Mainfranken), auch in Deutschland auf die Straßen gehen. Bernreiter betont hierzu die wirtschaftliche Attraktivität für Kommunen, zudem seien schon sechs fränkische Kommunen an der Technik interessiert. Mögliche Herausforderungen wie die Akzeptanz durch die Bevölkerung werden ebenfalls adressiert, hierzu äußerte sich Bernreiter optimistisch und vertraut auf KI-gestütze Sicherheitssysteme, welche sich zukünftig immer weiter verbessern und so die Akzeptanz und das Vertrauen der Menschen stärken. Die Nationale Plattform Zukunft der Mobilität (NPM), berichtet im AG-3 Abschlussbericht ebenfalls positiv über erste experimentelle Integrationen (RealLabHH) von autonomen Shuttles in das ÖPNV-System: “Auch wenn es bei der Einführung der Shuttles einige Gegenstimmen in der Bevölkerung vor Ort wegen wegfallender Parkplätze gab, wurden die Shuttles im Regelbetrieb von dem Großteil der Nutzer:innen als Bereicherung ihrer täglichen Mobilität gesehen” (NPM).
Trotz dieser positiven Einschätzungen, kann nicht einfach davon ausgegangen werden, dass sich die Bevölkerung ohne Weiteres auf die neue Technologie einstellt. Aus einer Studie (Institut für Innovation und Technik) aus dem Jahre 2019 geht hervor, dass viele der Befragten (51 %) den möglichen Sicherheitsgewinn durch automatisiertes Fahren nicht wahrnehmen. Ein fahrerloser ÖPNV wird ebenfalls von den meisten Befragten abgelehnt (68 %). Eine Umfrage des TÜV Rheinlands kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Zusätzlich äußerten die Befragten immer mehr Skepsis, je höher der angenommene Automatisierungsgrad ist. Auch in weiteren Studien konnte diese Automatisierungsskepsis gezeigt werden: Mit höherem Automatisierungsgrad werden sowohl der erwartete Fahrspaß als auch das erwartete Vertrauen in das System immer geringer. Angesichts der erwarteten Vorteile, dass weniger Verkehrsfläche, weniger Energie gebraucht und mehr Barrierefreiheit durch autonome Mobilität geschaffen werden können, müssen die Regulierungsprozesse durch Aktivitäten zur Steigerung der Akzeptanz in der Bevölkerung begleitet werden. Weitere Informationen und Ansätze zur Steigerung der Akzeptanz hierzu finden sich in unserem Themenheft “Der Mensch im Zentrum der automatisierten Mobilität”.