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Alles autonom und vernetzt?

Der hybride Zukunftsdialog für Kommunen, Verkehrsbetriebe und Mobilitätsbegeisterte zum Thema automatisierte Mobilität in Kommunen war ein voller Erfolg. Unter dem Veranstaltungstitel „Mobilität der Zukunft: Alles autonom und vernetzt?“ gab es am 20. September 2022 an der Bergischen Universität Wuppertal und digital via Zoom spannende Vorträge zu Projektergebnissen, zum aktuellen und zukünftigen Stand automatisierter Mobilität sowie zu kommunalen Praxisbeispielen.

Prof. Dr.-Ing. Anton Kummert (Dekan der Fakultät für Elektro-, Informations- und Medientechnik an der Bergischen Universität Wuppertal) stellte die zentrale Rolle für die erfolgreiche Umsetzung automatisierter Mobilität heraus. Wie Kommunen sich diesem Thema annähern, verdeutlichte Prof. Dr. Uwe Schneidewind (Oberbürgermeister der Stadt Wuppertal). Er verwies auf die vier Dimensionen der Mobilitätswende. Im Vordergrund stehen die Veränderung des Mobilitätsverhaltens und die zentralen politisch-institutionellen Fragestellungen:

  • Wie verteilen wir Straßenraum neu?
  • Wo nehmen wir Geschwindigkeiten raus?
  • Wie verändern wir Prioritäten im gesamtstädtischen System?

Die ökonomische Dimension der Mobilitätswende wird nur mit automatisierter Mobilität realisierbar sein. Voraussetzung ist eine Veränderung des Mobilitätsverhalten weg vom individuellen Besitz hin zu einer geteilten, funktional orientierten Mobilität. In technologischer Hinsicht ermöglicht automatisierte Mobilität das Fahren ohne Fahrer und damit die Erfüllung eines zentralen Aspekts der Mobilitätswende: Individuelle und flexible Mobilität mit weniger Autos. Automatisierte Mobilität muss dementsprechend systemisch eingebunden werden, nur so wird ein „autonomer Schuh“[1] daraus.

Autonome Mobilität wird ein zentraler Baustein für die Mobilitätswende in den Städten sein.

Prof. Dr. Uwe Schneidewind

„Infrastruktur ist ein zentraler Schlüssel zur Durchsetzung autonomer Fahrtechnologien: Kommunen sind der Schlüsselakteur“, so Thomas Lämmer-Gamp (Teamleiter Wirtschaftsentwicklung der Bergischen Struktur- und Wirtschaftsförderungsgesellschaft). Rechtliche Rahmenbedingungen für automatisierte Fahrzeuge stellen hohe Anforderungen an die Infrastruktur. Diese ist in vielen Kommunen in einem schlechten Zustand und erfordert hohe Investitionen. Er warnte vor einer „Infrastrukturfalle[2] für Kommunen. So wäre beispielsweise in Wuppertal zur Aufrechterhaltung des aktuell festgestellten Zustandsniveaus ein Jahresbudget von ca. 24 Mio. EUR nötig. Der Haushaltsplan 2022/2023 sieht jedoch nur Investitionen in Höhe von 3,8 Mio. EUR in 2022 und 4,7 Mio. EUR in 2023 für Straßenerneuerung und Fahrbahnsanierungen vor. Er plädierte daher für eine stärkere Einbindung von Kommunen in die Diskussion, um die Finanzierungsfragen der notwendigen Infrastruktursanierungen zu klären.

Wie ist automatisierte Mobilität bereits heute in den Kommunen Nordrhein-Westfalens verankert? Dr. Michael Krause (Projekt camo.nrw an der Bergischen Universität Wuppertal) zeigte auf, wo Kommunen heute stehen und wie sie sich zukünftig auf automatisierte Mobilitätslösungen vorbereiten wollen. Grundsätzlich gilt: Kommunen sollten mit ihren Vorbereitungen nicht warten, denn automatisierte Mobilität kommt und unterstützt die Mobilitätswende! Dabei ist es bedeutsam, automatisierte Mobilität strategisch zu verankern, um eine langfristige funktionierende Umsetzung mit allen Akteuren gewährleisten zu können. Ebenso ist eine Akzeptanz neuer Mobilitätslösungen nur dann dauerhaft realisierbar, wenn die Bürger*Innen frühzeitig mitgenommen werden.

Ein erfolgreiches Praxisbeispiel präsentierte Manuel Weniger (Digitalisierungsbeauftragter der Stadt Iserlohn und Konsortialpartner des autonomen Shuttlebus-Projektes a-Bus Iserlohn). Ziel des Shuttlebus-Projektes ist es, den Einsatz automatisiert fahrender Fahrzeuge zur Personenbeförderung im ländlichen Raum zu erproben. Die Erfahrungen haben gezeigt, dass auf folgende Aspekte bei der Einführung eines automatisierten Shuttlebusses zu achten ist:

  • Eine ausreichende Beschilderung der Teststrecke in Form von Hinweisschildern am Streckeneingang für andere Verkehrsteilnehmer*Innen sowie in Form von Lokalisierungspanels für die Fahrzeugsensorik,
  • eine Vorbereitung der Fahrtstrecke durch Einmessung der Strecke,
  • das Trainieren und Zertifizieren der Operatoren sowie
  • eine Vorbereitung des Fahrbetriebs, zunächst ohne Personenbeförderung.

Neben einer positiven Berichterstattung in den lokalen Medien und positiver Resonanz von Betreibern, Operatoren und Nutzer*Innen berichtete Herr Weniger von einigen Hürden im Fahrbetrieb, wie bspw.

  • von einer Beeinträchtigung anderer Verkehrsteilnehmer*Innen durch die geringe Geschwindigkeit von 12 km/h,
  • einen erschwerten Fahrbetrieb durch falsch parkende Fahrzeuge am Straßenrand oder in den Verkehrsraum ragende Vegetation entlang der Strecke sowie
  • externe Faktoren wie Probleme mit Sendemasten, der Witterungslage oder Fahrzeugschäden.

Grundsätzlich muss auf eine regelmäßige Pflege der Infrastruktur (bspw. Beseitigung von Laub oder Unkraut sowie Beheben von Schlaglöchern) sowie auf Barrierefreiheit geachtet werden.

Mit der Schnittstelle Mensch – automatisierte Fahrzeuge und der Frage „Haben wir an alle(s) gedacht?“ beschäftigt sich Prof. Dr. rer. nat. Stefan Geisler (Professur für Angewandte Informatik / Mensch-Maschine-Interaktion an der Hochschule Ruhr-West) und sein Team im Projekt camo.nrw. Für Akzeptanz und Wohlbefinden bei der Nutzung automatisierter Mobilität müssen verschiedene Lebensbedingungen und gesellschaftliche Auswirkungen besser verstanden und berücksichtigt werden. Dazu gehören die besonderen Anforderungen mobilitätseingeschränkter Personen. Zur systematischen Identifikation wurde ein Modell erarbeitet: Ergebnisse aus Literaturstudien, Feldbeobachtungen und qualitativen Befragungen durch Expert*Innen wurden zu 24 Statements zusammengefügt, die mittels einer Online Befragung gewichtet wurden. Hieraus ergaben sich vier Nutzer*Innen-Profile:

Prof. Dr. Stefan Geisler

Stefan Geisler wies darauf hin, dass der Dialog mit allen Bürger*Innen unumgänglich ist, um die vielfältigen Anforderungen an automatisierte Mobilität frühzeitig berücksichtigen und im Betrieb erfüllen zu können.

Rechtliche Fragestellungen sind für Emanuele Leonetti (Wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Verband Deutscher Verkehrsunternehmen – VDV) eine große Hürde bei der Einführung und Umsetzung automatisierter Mobilitätslösungen. Viele Regulierungs- und Umsetzungsfragen sind offen wie bspw. die Qualifizierungsanforderungen an das neue Berufsbild der technischen Aufsicht, die Verhaltens- und Verkehrssicherungspflichten im autonomen Personenbeförderungsbetrieb oder die Akzeptanz von Nutzer*Innen, Fahrgästen und anderen Verkehrsteilnehmer*Innen. Er sieht wie Thomas Lämmer-Gamp Finanzierungsfragestellungen als eine der größten Herausforderungen für Kommunen. Insbesondere sind hohe Investitionen in die Infrastrukturen notwendig. Da es allerdings noch kein „Produkt von der Stange“[3] gibt, birgt die Einführung automatisierter Mobilitätslösungen ein wirtschaftliches Risiko für Kommunen. Um den genannten Herausforderungen zu begegnen, braucht es klare rechtliche Regelungen und Zuständigkeiten.

Zum Abschluss des Zukunftsdialogs wies Prof. Dr.-Ing. Tobias Meisen (Professor für Technologien und Management Digitaler Transformation an der Bergischen Universität Wuppertal) darauf hin, dass autonome Mobilität „noch lange nicht zu Ende gedacht ist“[4]. Das Ökosystem der Mobilität ist komplex und eine Vielzahl von Elementen greifen zur Mobilitätserfüllung ineinander. Die Mobilität der Zukunft hat eine Reihe von Vorteilen: Sie ist schneller, komfortabler, günstiger, umweltfreundlicher und sicherer und ermöglicht eine verbesserte Teilhabe. Allerdings ist noch eine Vielzahl von Fragen in Bezug auf Datenschutz, Nachfrage, gesellschaftlicher Einstellung und wirtschaftlich tragfähiger Technologien offen. Vom Wunschdenken bis zur Realität einer geteilten, multimodalen, elektrischen und autonomen Mobilität in unseren Kommunen ist es noch ein weiter Weg, der nur gemeinsam beschritten werden kann.

Prof. Dr.-Ing. Tobias Meisen

[1] Prof. Dr. Uwe Schneidewind

[2] Thomas Lämmer-Gamp

[3] Emanuele Leonetti

[4] Prof. Dr.-Ing. Tobias Meisen

Das Team von camo.nrw (Foto: Daniel Reuland)

Aftermovie:

Vortragsunterlagen zum Download:

Impressionen:

Graphic Recording: Tobias Wieland

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